„Wir sind doch alle Arier“
„Hallo, willkommen im Iran! Woher kommst du?“
„Aus Deutschland.“
„Oh, ich liebe Deutschland! Wir sind doch auch Arier.“
Wie bitte?! Also blond & blauäugig? Sind die Iraner ja in den seltensten Fällen. Eine plumpe Anspielung auf das Dritte Reich oder die eigene politische Haltung? Was ist hier gemeint?
„Wir sind doch alle Arier“ – auf diesen Spruch muss man gefasst sein, sobald man sich im Iran als Deutscher zu erkennen gibt. Unsere ersten Reflexe sind Befremdung, dunkle Gefühle, Verwirrung. Geht es um Äußerlichkeiten, Ideologie oder Rassismus? Hilfe suchend starren wir in freundlich lächelnde Gesichter.
Tatsächlich ist die Aussage meist sehr viel harmloser gemeint, schlicht als Betonung von Gemeinsamkeit und als Geste der Verbrüderung. Letzten Endes sind nämlich wir es, die ein kompromittiertes und verdrehtes Verständnis der Arier-Thematik haben.
Zunächst muss man feststellen, dass, selbst wenn sprachwissenschaftlich eine gewisse Verwandtschaft über das Indogermanische besteht, die Iraner mehr als alle anderen das Recht haben, sich als Arier zu bezeichnen. Wahrscheinlich diente der Begriff schon in einer Zeit als ethnische Selbstbezeichnung, da blauäugige nordische Mutanten noch Quark im Schaufenster waren, denn der erste blauäugige Mensch wurde erst vor ca. 7.000 Jahren geboren – und das (nur nebenbei) in Spanien. Belegt ist der Begriff Arier im Avesta und in den Veden. Vermutet wird ein frühzeitliches zentralasiatisches Volk, welches in vorgeschichtlicher Zeit nach Nordwestindien und ins iranische Hochland einwanderte.
So mag es auch nicht mehr wundern, dass „Iran“ übersetzt „Land der Arier“ bedeutet. Die Landesbezeichnung wurde von Reza Schah unter dem Eindruck nationalistischer Ideologie in Europa ab 1935 wieder hervor geholt, war aber schon bei den alten Persern ein Thema. Dareios I., persischer Großkönig und Unterlegener bei der Schlacht von Marathon anno 490 v.u.Z. , verlautbart in seiner Grabinschrift in der Nähe von Shiraz: „Ich bin Dareios, König der Könige, ein Perser, Sohn eines Persers, ein Arier, welcher arischer Abstammung ist.“ Wie lächerlich kommt mir spätestens jetzt angesichts dieser historischen Dimensionen der Ariernachweis meiner Großeltern und der bis 1600‑irgendwas zurückreichende Familienstammbaum vor.
Ähnlich verhält es sich übrigens auch mit dem Hakenkreuz bzw. der Swastika, die im Iran häufig als Dekorationselement in Moscheen oder auf banalen Zaunfeldern begegnet, und die man in diesen Zusammenhängen eindeutig und ausschließlich als Symbol für den kosmischen Kreislauf oder als Glücksbringer verstehen darf. Und manchmal – wie im Ornamentband im folgenden Bild – ist auch einfach der stilisierte Schriftzug “Ali” der Swastika zum Verwechseln ähnlich. (*Merci an Mohsen für den Hinweis)
Wenn sich Iraner also gleich im dritten Satz einer Konversation auf das Arier-Sein beziehen, ist das von ihrem Standpunkt aus völlig legitim und Deutschen gegenüber sogar ausgesprochen wohlwollend. Freilich in völliger Verkennung unserer speziellen Befindlichkeit mit diesem Thema. Dahinter steht ein anderes historisches Bewusstsein, gepaart mit Unwissen über den hiesigen Missbrauch der Begriffe und Symbole im 19. und 20. Jahrhundert. Das Unbehagen des deutschen Gemüts angesichts seiner Stigmata hat man einfach nicht auf dem Schirm, zumal der 2. Weltkrieg in Europa oder der Holocaust nicht Bestandteil des offiziellen Bildungskanons sind. Stattdessen kursiert Halbwissen und gerät Hitler zur Ikone, ähnlich wie Alexander der Große, Elvis oder Hussein. Auf dem Schwarzmarkt vor der Teheraner Uni findet man alle Arten verbotener Bücher, daneben teilen sich Hitler-Plakate die Auslage auf dem Bürgersteig mit Nirvana und Steve Jobs. Man könnte versuchen dem Verkäufer zu erklären, dass Adolf Europa in Schutt und Asche gelegt hat und somit auch für Deutschland nicht gerade ein Hauptgewinn war, selbst wenn man alle Gräuel und allen Wahn außen vor lässt – man kann es aber auch lassen.
Versuchen wir einmal die iranische Sicht: Wir sind in einer Kultur sozialisiert, die seit Jahrtausenden das Arier-Sein verinnerlicht hat. Symbole wie die Swastika oder der zoroastrische Faravahar haben sich tief ins Fleisch der Geschichte eingegraben. Und dann vernehmen wir, dass eine andere angesehene Kultur in Europa vor ca. 100 Jahren ebenfalls auf diesen Pfeilern zu bauen begann. „Der verlorene Stamm!“ möchte man beinah rufen, doch das gehört in eine andere Ecke. Wahrscheinlich ahnen wir nichts von der ungeheuerlichen Verunglimpfung oder davon, dass diese ‘deutschen Arier’ eigentlich genaseweiste Trittbrettfahrer sind.
Allerdings, das ist nicht ganz von der Hand zu weisen, hat der Arier-Topos auch im Iran seine ideologischen Implikationen. Wenn einem ein wildfremder junger Mensch am Busbahnhof plötzlich eine Sammlung von Fotos der letzten Schah-Familie auf seinem Smartphone präsentiert, tritt hier ein Nationalstolz zutage, der wenig mit der Islamischen Republik, dafür um so mehr mit den ehrwürdigen Traditionen diverser Perser-Reiche zu schaffen hat. (Ob dieses Nationalgefühl gesund ist? Wir können es am wenigsten beurteilen.) Vielleicht spielt auch die ‘Schmach’ der islamischen Eroberung und die jüngste internationale Isolation eine Rolle. Mit dem Arier-Sein jedenfalls wird (wissenschaftlich fundiert per indoarische Sprachfamilie) ein Unterschied zu Arabern bzw. zu Semiten und turksprachigen Völkern betont, von denen sich die alte Kulturnation gerne abgrenzt. Anders herum heißt das: Iraner und Deutsche sind sich angeblich ähnlicher als beispielsweise Iraner und Araber.
Die Gemeinsamkeit mit Deutschen hat zudem ihre historischen Wurzeln in der engen Zusammenarbeit des Deutschen Reiches und Persiens seit Beginn des 20. Jahrhunderts. Deutsche Ingenieure halfen beim Bau von Brücken, Bahnstrecken und anderer Infrastruktur. Insgesamt haben Deutsche im Iran einen guten Stand, auch weil sie, anders als Russen, Briten und Amis, keine offensive Kolonialpolitik oder imperiale Interessen in der Region verfolgten, sondern mit weichen Mitteln wie Wirtschaftshilfe und Technologietransfer Einfluss (bisweilen gegen die zuvor Genannten) ausübten.
Wird man als Deutscher auf das Arier-Sein angesprochen, zielt der Iraner möglicherweise auf diese gemeinsame Geschichte, auch ideologisch. Meistens aber ist der Spruch „Wir sind doch alle Arier“ wesentlich unverfänglicher und eigentlich nett gemeint. Ein Bewusstsein für das Unrecht der Nazi-Zeit kann man – wie oft außerhalb der westlichen Welt – kaum voraussetzen. Geradezu groteske Züge nimmt es an, wenn zum Empfang deutscher Gäste (z. B. in ländlichen Gegenden) der Hitlergruß bemüht wird.
„Almani? Ariai! Hitler khub? Angela Merkel khub? Angela oder Adolf, wer ist besser?“
Hier muss nicht gleich ein Rassist sprechen, eher ein stolzer Iraner, der seine Weltgewandtheit unter Beweis stellen und uns implizit eine Tür öffnen möchte, um Nähe und Verbundenheit herzustellen. Als deutscher Iran-Reisender sollte man sich davon nicht aus dem Konzept bringen lassen, sondern möglichst gelassen reagieren. Man kann, sofern kommunikativ möglich, eine andere Sicht der Geschichte andeuten oder das Thema einfach auf Fußball wechseln: So wie Iraner denken, wir freuen uns, wenn deutsche ‘Größen’ wie A. & A. ein Begriff sind, ruft es umgekehrt Freude und Anerkennung hervor, bringt man das Gespräch auf den iranischen Fußballstar Ali Daei, der in den 90ern für deutsche Bundesligisten spielte. Oder auf die Derbys der Teheraner Erzrivalen Esteghlal und Persepolis. Fußball kann schließlich die ganze Welt.
Jul 31, 2017 at 3:22 PM /
Gut zu lesen! Aber manchmal ist es gut, alles zu vergessen oder in Frage zu stellen, was man glaubt zu wissen. Das Konstrukt Iran – Arier ist sowas von weit her geholt… Aber je unwahrscheinlicher, desto stärker glaubt man daran.
Haben Sie schon mal etwas von “Gur Arieh” gehört? Aus dem Hebräischen übersetzt bedeutet das “Junger Löwe” und bezieht sich auf Jacobs Segen an seine Söhne. Judah ist dieser junge Löwe und an anderer Stelle des AT erhält auch Dan dieses Prädikat.
Aus Arieh läßt sich viel plausibler dieses “Wir sind doch alle Arier” ableiten.
Beste Grüße