Mit Kindern im Iran
Vorneweg: Mit Kindern den Iran individuell zu bereisen ist grandios für Groß und Klein, eine unschätzbare Erfahrung!
Einschränkungen: Reisealter ab 6, oder besser 8, da sind die Kids hellwach und verständig und haben mehr davon. Das Essen ist vielleicht zu exotisch manchmal (vegetarisch ist keine Selbstverständlichkeit), aber meist gibt es schnelle Abhilfe in Form von Hühnchen, Pommes, Nudeln oder Suppe; Kindergerichte eben. Mädchen sollten ab 9 Jahren Kopftuch tragen.
Da plante ich diesmal also eine Iran-Reise zusammen mit meinen Kindern, zwei Jungen im Alter von 10 und 11: ihnen dieses unglaubliche Land zeigen, das mich so begeistert, Freunde besuchen, ein bisschen Urlaub und Abenteuer, in die Berge wandern, über den Bazar-Teil mit dem Lebendgeflügel spazieren, andere Freunde mit Kindern besuchen, durch historische Ruinen wandeln, einem religiösen Fest beiwohnen, gucken, wohin die Tage treiben, nebenher Salamzimbo weiter voran bringen, Kunsthandwerkern über die Schulter schauen, dem Bäcker, alltägliche Dinge neue erleben, dann auch mal eine andere Gegend bereisen, eine andere Stadt, die ich noch nicht kannte … In dieser Art.
Die Jungs waren begeistert. „In der Schule fragen sie, ob das nicht gefährlich ist. Da hab ich ihnen erklärt, dass Iran nicht Syrien ist, und auch nicht Irak, oder dieses andere Land.“ „Ich kauf mir dann iranische Kekse im Supermarkt und bring sie meiner Klasse mit. Wie? Da gibt’s keine Supermärkte?“
Vielleicht zunächst die harten Fakten: Supermärkte gibt es ganz vereinzelt am Rand von großen Städten. Sonst findet man alles auf dem Bazar, im Fachgeschäft oder in den unzähligen Tante-Emma-Läden. Auch Kekse. Gut, für die Kekse mit Rosenwasser muss man ein bisschen rumfragen.
Reisen im Land geht am besten per Inlandsflug oder Reisebus. Die VIP-Busse sind nicht teuer (Faustregel: 1 Stunde Fahrt umgerechnet 1 €) und stellen an Komfort und Beinfreiheit alles in den Schatten, was deutsche Busunternehmen zu bieten haben, inklusive Verpflegung und Steward an Bord. Zu entfernteren Zielen lohnen also auch Übernacht-Fahrten. Organisiert bekommt man seine Bustickets direkt am Busbahnhof oder über iranische Reisebüros. Oder ein Bekannter ruft an und reserviert einfach eure Tickets. Größere Zielorte wie Isfahan, Shiraz usw. werden mehrmals täglich angefahren. Schwieriger wird es mit den Inlandsflügen, diese sollte man mehrere Tage im voraus buchen oder schon von Zuhause aus über iranischen Reiseagenturen besorgen. Vor Ort nimmt man am besten Taxen, eins für die ganze Familie, Kostenpunkt 1–5 € pro Fahrt. Der ÖPNV ist, bis auf U-Bahnlinien, doch recht undurchschaubar für Außenstehende. Hotels, Pensionen etc. gibt es reichlich. Dabei darf man ruhig den Empfehlungen der Einheimischen folgen, die Iraner reisen seit einigen Jahren wie die Weltmeister im eigenen Land umher. Aufbettungen sind nie ein Problem, vielleicht kommt man auch gleich auf einem gemütlichen Decken- und Matratzenlager unter.
Der Rest ergibt sich oft von selbst: Ausflüge und Touren vor Ort – was will man sich angucken, auf eigene Faust oder mit Guide …? Das heißt nicht, dass man nicht planen kann, doch mit jedem neuen Bekannten, mit jedem Schwatz an der Straßenecke können sich neue Möglichkeiten auftun: Dieser kennt jenen, der hat noch ein Zimmer frei, lädt zu einem Abstecher ins nächste Dort ein, man bekommt einen Tipp oder zufällig eine angenehme, temporäre Begleitung. Wer schon ein paar Stationen, Anlaufpunkte und Aktionen safe haben möchte, der wende sich gern an Salamzimbo.
Der Iran macht es einem leicht, einen Zugang zu seinen Menschen und einen Einstieg in seine Kultur zu finden. Damit ist auch die islamische Prägung des Landes gemeint. Unter Beachtung der Regeln wird einem auch als Christ keine Moschee- oder Schrein-Besichtigung verwehrt (geschlechtergetrennt versteht sich, aha, spannend, so sieht das aus, ach ja, und Schuhe aus, Gebetsstein, bei den Schiiten, welche waren das?). Man darf praktisch überall rein, Zeremonien und Brauchtum erklären die Leute gern. Bei unserem ersten Inlandsflug wurden meine Jungs gleich ins Cockpit eingeladen und schossen dort Starfotos zusammen mit den Piloten. Grundsätzlich und von vornherein wird man offen und freudig willkommen geheißen. Die Menschen sind stolz und glücklich, ihr Land, ihr Leben und ihre Kultur zu zeigen – und tun, wenn Kinder mit dabei sind, noch eine Schippe Gastfreundlichkeit oben drauf.
Das klingt zwar, als würde man seine Sprösslinge dazu benutzen, den Get-inside-get-local-Faktor einer Reise auf zu tunen, ändert aber nichts daran, dass Kinder ein Schlüssel zum Herzen der Menschen sind. Aber nicht bloß in Begegnungen mit anderen, auch für unser eigenes Erleben sind unsere Kinder ein wertvoller Schlüssel. Da spazieren sie zum Beispiel plötzlich in einen Laden, für den man sich sonst nicht interessiert hätte, stellen Fragen, die wir mal neu überdenken könnten, und spitzen ihre Antennen für Kontraste und Widersprüche, an die wir uns vielleicht schon gewöhnt haben.
Braucht man einen Platz zum Ankommen im Iran? Vielleicht. Teheran selbst, das smoggeplagte Stadtungetüm, in welches man in den meisten Fällen nach internationalen Flügen stolpert, ist hierfür und mit Kindern nur bedingt geeignet. Doch auch dort kann man das Ankommen mit gemächlichem Sightseeing verbinden, Tee trinken, im Park die öffentlichen Trimmgeräte durchprobieren … Die Leute sind hilfsbereit und neugierig, ohne aufdringlich zu sein. So schnell kann man nichts falsch machen oder verloren gehen.
Meine Söhne und ich haben uns dennoch recht flugs in den Süden abgesetzt, nach Shiraz, denn je südlicher und je ländlicher, desto gechillter die ohnehin relaxte iranische Lebensart (nicht zu verwechseln mit mangelnder Sorgfalt und Desorganisation). Und während ich noch meine tobenden Jungs anranze und zu Manieren ermahne, säuselt es rings um mich: „Ach, lass sie doch. Es sind doch Kinder.“
Überhaupt, man invertiere die deutsche Kinderfeindlichkeit und potenziere das dann mit der unvorstellbarsten Gastfreundschaft! Iranische Spezialität: Man macht anderen das Leben nicht nur leichter, sondern auch schöner. Das können kleine Gesten sein, wie wenn du plötzlich feststellst, dass sich jemand gemerkt hat, wie du deinen Tee magst. Oder wenn Mehdi, der friedvolle, besonnene Mehdi allen voran durch die Hügel wandert und unauffällig Steine vom Pfad kickt. Damit keiner stolpert, und ohne irgend Anerkennung zu erwarten. Es bedeutet aber auch, dass man ausspricht, worauf man Lust hat und wofür man sich interessiert. Jedermann setzt darauf alles in Gang, Wege zu finden, die es möglich machen. Das gilt für Gäste, für Freunde und Familienmitglieder, ganz besonders aber für Kinder, die in diesem Geist erzogen werden: Wenn dein Wunsch möglich zu machen ist, dann wird er ermöglicht. Sei völlig du selbst, entdecke und ermögliche dich. – Klingt idealistisch irgendwie, aber Steine bekommt man als Kind und Mensch sowieso in den Weg gelegt, vom System, von den Traditionen, von den Umständen. Und dann wäre da noch das neue 1-Kind-Ideal in der iranischen Mittelklasse. Hier darf man – für unsere Begriffe – verzogene, mit allem Spiel- und Technikkram vollgestopfte Prinzen und Prinzessinnen mit hohen Erwartungen und vorfinanzierten Bildungswegen erwarten; doch hebe der den Finger, der es verüblen möchte. Aber ich schweife ab, ich orientalisiere quasi, wollen wir das Klischee bedienen.
Trotz dieser neuen Einzelkind-Mode ist die Bevölkerung des Irans sehr jung (Durchschnittsalter 27 Jahre). Gerade beim individuellen Reisen gelangt man schnell in Kontakt mit anderen Kindern. So konnten wir beispielsweise eine Schule besuchen oder waren zum Volleyball im Park verabredet. Mit anderen Familien verbrachten wir wunderbare Grill-Nachmittage im Garten, und derweil die Kids das Repertoir an internationalen Spielen und nationalen Varianten erkundeten, gönnte sich Papa eine Wasserpfeife.
Wie oft waren wir, überlege ich, auf unserer Reise in angeregte Gespräche vertieft, angestiftet von klugen Kinderfragen?
Gibt es Schwimmhallen im Iran? Und Männer und Frauen haben jeweils ihre eigenen Schimmhallen oder getrennte Zeiten? Ach! Aber wenn jetzt ein Papa mit seiner kleinen Tochter, oder eine Mama mit dem Sohn … Echt? Nur wenn der Papa mit dem Sohn usw.?
Oder: „Warum hast du vorhin nein gesagt, die haben uns zu sich nach Hause eingeladen?!“ (Stichwort Taarof)
Oder: „Du, sag mal? Warum fragen uns alle nach Hitler, wie wir den finden? Ich find das komisch.“
Geschichtsbilder, Geschichten, Klischees. Nicht zu vergessen der märchenhafte Orient, das Land voller Magie und Wunder! Immerhin gibt es im Iran in der salzigen Wüste Bäume, die Zucker wachsen lassen (das Manna der Tamarisken). Pah! Und auf Hormuz kredenzt man essbare Erde. Das Softeis ist sowieso der Hammer und schmeckt wahlweise nach Safran, Pistazie oder Dattel. Am Lagerfeuer erzählt man Dschinn-Geschichten und im hinterletzten Dorf kann man auf Leute treffen, die sich nahezu perfektes Deutsch und Englisch beigebracht haben, indem sie jahrelang entsprechende Kurzwellensender im Radio hörten. Wow!
Wenn das nicht alles Wow-Faktor für die Kleinen und Großen hat. Klar, dies ist mein persönlicher Erfahrungsbericht, mächtig romantisierend hier und da, mag einer finden, als wären da im Iran nicht … Schon flackert es auf, das Thema „Urlaub in Diktaturen“. Ich finde, es geht um die Menschen, und der Weg führt über die Begegnung, alles andere käme mir arrogant vor. Außerdem wäre ich als Kind der DDR auch traurig gewesen, wären die Besuche aus dem Westen plötzlich ausgeblieben, weil ich in einer Diktatur aufwuchs. Was hätte es nebenbei bemerkt an der politischen Lage geändert? Hinzu kommt, dass ‘die Iraner’ sich sehr gerne öffnen und an der Weltgemeinschaft teilhaben möchten. Dessen und allem Gesagten eingedenk, kann ich nicht anders als wieder in Euphorie auszubrechen: Wie bezaubernd, lehrreich und einprägsam muss für die Kinder die Begegnung mit dieser Welt sein!
Und das waren meine Knaben am Ende: restlos begeistert. Sie hielten freiwillig Vorträge in der Schule und zehren davon, wie sie vom Land und den Menschen gedrückt und geherzt wurden. Bei so manchem Abschied hatten sie Tränen in den Augen, und wenn die Frage oder eher die sanfte Aufforderung kam, doch recht bald wieder zu kommen, nickte beide eifrig und aus vollster Seele.
„Was hat euch am meisten gefallen?“ fragt Oma.
„Die Landschaft!“
„Die Menschen!“
Für jeden was dabei. Und ja, okay, vielleicht waren sie am Schluss , aber nur ganz am Schluss ein bisschen genervt vom 100. Selfie, für das sie herhalten mussten. Mit Ladenbesitzern, Passanten, Frauen im Chador, anderen Kindern, Soldaten auf Urlaub, unbeholfenen Provinzlern am Busbahnhof, …
„Du reist auf eigene Faust mit deinen Kindern durchs Land? Hoffentlich wird diese Art von Tourismus bald mehr!“ Ja, hoffentlich.
Nachtrag
Hier ein paar Bilder, die die Kinder gemacht haben: