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Von Nasszellen und Haushosen

Der Orient war unsereins im Mittelalter und darüber hinaus in Sachen Medizin und Hygiene weit voraus. Man denke nur an die antiken Schriften des Hippokrates oder Galens, die hierzulande erst wieder durch Rückübersetzung aus arabischer Überlieferung zugänglich wurden. Oder an den Medizin-Apostel Avicenna. Der hieß eigentlich Abu Ali al-Husain ibn Abd Allah ibn Sina und war persischer Arzt und Universalgelehrter. In Hamedan, im Westen von Teheran, hat man ihm ein Mausoleum samt Museum gebaut.

Manchmal kommt mir der Gedanke, diese medizinisch-hygienische Superiorität dauere auch heute noch an: Nicht nur, dass alle Iraner im Ausland entweder Dissidenten, Kulturschaffende, Medizinstudenten, dissidentische Kulturschaffende oder Ärzte sind (ganz stereotyp). Auch die inländischen Medikusse von Isfahan und anderswo sind nach wie vor gefragte Experten auf allen Fachgebieten, nicht zuletzt der Schönheitschirurgie.

Und hygienisch? Allein schon das regelmäßige Händewaschen ist seit Jahrhunderten institutionalisiert. Religiös zwar, aber funktional. Und vor der Moschee oder einer Wohnung zieht man immer die Schuhe aus. Immer. (Löcher in den Socken gehen gar nicht.) In Parkanlagen sind überall die seltsamsten Trimmdich-Geräte zu finden, die von der Bevölkerung zur sportlichen Ertüchtigung genutzt werden. Und es gibt immer genau dann, wenn einem einfällt, dass man durstig werden könnte, kostenloses Trinkwasser: sauber und nicht gechlort wie in Spanien, aus Wasserspendern in Parks, Museen und Schreinen oder einfach am Straßenrand, an einer Art Kühlschrank mit Wasserhahn dran.

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Okay, der eine oder andere Imbissstand in persischen Großstädten macht nicht den Eindruck, als hätte je das Gesundheitsamt reingeschaut, aber das gibt es hier auch. Was es im Iran so gut wie gar nicht gibt, sind versiffte Bahnhöfe, uringeschwängerte Hauseingänge, Pissecken in Straßenunterführungen, Spucklachen vor Bushaltestellen, ja nicht einmal Hundehaufen oder die hiesigen Kaugummiteppiche auf den Bürgersteigen. Auch Kippen sieht man selten im Rinnstein, ich weiß nie wohin mit meiner Zigarette und fühle mich fast schäbig, sie auf der Straße zu entsorgen. (Und das, wo die Anpassungsleistung zum Beispiel in puncto Verkehr sonst eher gegensätzlich, also „laissez-faire“ ist.)

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Dagegen sind wir Europäer doch geradezu ungehobelte Flegel, oder? Das fängt schon mit einer Ferkelei wie dem Schnauben an, dem freimütigen Naseschnäuzen. Man kann es nicht anders beschreiben denn als lautstarkes, öffentliches Ausscheiden von minderwertigen, ja potenziell infektiösen Körpersekreten. Ein echtes No-Go im Iran. Ich weiß noch, wie Iraner die Nase rümpften (heimlich – also höflich wie immer), als in der Freitagsmoschee zu Yazd eine französische Reisegruppen-Dame mit Safarihut ebenso plötzlich wie herzhaft in ihr Taschentuch trompetete.
Also wirklich! Da könnte man auch gleich dem Messias am Kreuze ins Konterfei flatulieren! Nein nein …

Man wagt es kaum, in aller Konsequenz weiter zu denken. Wir ungehobelten Europäer … Wir benutzen schließlich auch, dort im stillen Örtchen, in einem dilettantischen Versuch von Körperhygiene, PAPIER zum Reinigen des Hinterteils! Für den Iran gilt aber: Klar im Vorteil ist, wer zumindest schon mit „Hakle feucht“ experimentiert hat.

Apropos WC, das gibt es natürlich im Orient. Ein ordnungsgemäßes Wasserklosett, sogar mit viel Wasser. Es sind nur eben Hockklos, ähnlich wie man sie aus dem Mittelmeerraum oder Asien kennt: Ein Loch und daneben Trittflächen – die klassische orientalische Toilette oder ‚Squat toilet‘, wie der Fachmann von Welt sagt.
Wer sich tiefer in die Materie begibt, rein geistig versteht sich, der findet nicht nur Defäkations-Anleitungen für Weltenbummler, sondern ganze Kulturgeschichten des Stuhlgangs, da bin ich mir sicher. Vorstellbar wäre auch eine Theorie, wie die physiologischen Vorgänge und Unterschiede zwischen Hock- und Sitztoiletten auf spirituelle Aspekte und soziokulturelle Merkmalsausprägungen abgebildet werden könnten. Sitzen ist sicher ungesund, dekadent und fatalistisch, die Hockvariante dagegen unbequem, verklemmt und sehr innerweltlich.

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Wie dem auch sei, in der Standardausführung steht auf iranischen Toiletten für den post-exkrementellen Reinigungsvorgang Wasser zur Verfügung, und zwar aus dem Schlauch oder in einer Plastikkanne. Und danach Wasser und Seife für die Hände (linke Hand). Keine Sorge, im Höschen trocknet es schnell wieder, und das sich einstellende Sauberkeitsgefühl hat eine andere Qualität.
Das Ganze ist eben auch eine Haltung, nicht nur zum eigenen Körper, auch als eine Art Lebensgrundsatz, eine Manifestation mentaler Hygiene. Diese Philosophie geht übrigens so weit, dass hierzulande bei orientalischen Bekannten weiterhin bunte Plastikkannen neben den Toiletten stehen oder kurzerhand ein Schlauch an den Anschluss für die Waschmaschine montiert wird.
Wer nicht auf Papier verzichten kann, darf solches im Iran nicht erwarten. Es mag schon vorkommen, dass Toilettenpapier verfügbar ist, besonders in modernen Privathaushalten. Dieses (oder mitgebrachtes Zellstoff) gehört jedoch nicht ins Klo, sondern in den Mülleimer.

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By SuSanA Secretariat [CC BY 2.0 (http://creativecommons.org/licenses/by/2.0)], via Wikimedia Commons

Im Laufe der Zeit wird man verschiedenen Variationen und Daseinszuständen der orientalischen Toilette begegnen. Öffentliche Anstalten in Parks, auf Raststätten oder in Cafés sind nicht ganz steril, jedoch selten verranzt und oft gepflegter, als der weltweite Durchschnitt erwarten ließe. Sonderausstattungen gibt es auf dem Land, zum Beispiel ummauerte, über Sickergruben einbetonierte Hockklo-Wannen, oder daheim bei Freunden und in Hotels, etwa Kombinationen mit Bidet und ordinärer Sitztoilette.

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Variante im Ländlichen: hinten rechts, weißgetüncht, die ummauerte Freilufttoilette, vorne links Händewaschen

Überhaupt sind Badezimmer im Iran eher ‚Nasszellen‘. Beim Duschen wird einfach alles nass. Duschvorhänge gibt es in der Regel nicht, dafür aber Feger, Besen mit Gummilippe und Fensterputz-Utensilien, um die Pfützen anschließend Richtung Abfluss zu befördern. Das Nasszellen-Phänomen erklärt auch, warum vor jeder persischen Badezimmertür diverse Badlatschen stehen, meist Himmelblau und in allen Größen für die ganze Familie.

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Wenn man schon dabei ist, die Schuhe auszuziehen und es sich gemütlich zu machen, kann man auch gleich die Straßenkleidung mit den üblichen Pyjamas tauschen. Pyjama ist ein persisches Wort und darüber hinaus auch gute persische Sitte. Daheim-Bekleidung im besten Sinn. Für Freunde und Familienangehörige bis 3ten Grades sind im wohlsituierten persischen Haushalt stets ein paar Gästepyjamas vorrätig. Im Pyjama kann man wunderbar auf der Couch oder dem Teppich lümmeln, man sitzt darin zum Essen und trägt zum allgemeinen Wohlbefinden bei. Denn wer keinen Pyjama anzieht, der sendet Hauseltern und Gastgebern das Signal, dass er wahrscheinlich nicht lange bleibt, dass man auf dem Sprung ist.

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Screenshot Google-Suche

Ich habe noch lebhaft den seligen Gesichtsausdruck der Mutter eines Freundes in Erinnerung, als ich – es war mein zweiter oder dritter Besuch bei der Familie – meinen eigenen Pyjama aus dem Rucksack holte und darin zum Tee erschien.
Vielleicht ist es das, was ich mit ‚mentaler Hygiene‘ anzudeuten versucht habe.

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